REPORTAGE. Eigentlich will ich ja nur in Ruhe eine Zigarette rauchen. Also raus aus dem Büro und runter auf die Straße. Siebzig bekannte krebserregende Stoffe mit nur einem Atemzug: herrlich! Und dann kommt auf einmal eine Gruppe von dreißig angelsächsischen Minderjährigen, angeführt von einem vollmotivierten Stadtführer, und die Show beginnt.
See the English version below
„This Mural is one of the most exciting in Cologne. It is telling the story of …“
Um mich herum packen die Kinder ihre Butterbrote – ups! – Sandwiches aus und fangen an, miteinander zu flirten.
„Do you like Cologne?“
„Not really. It stinks.“
Stimmt, denke ich, aber das kann ja jetzt auch an meiner Zigarette liegen. Oder am Wetter. Wenn es lange genug nicht mehr geregnet hat, fängt die Kacke an zu dampfen.
Der Mann redet, aufrichtig begeistert von seinem Thema, weiter und wird immer lauter.
Also schaue ich mir das Bild auch mal an. Weil ich seit längerem in Köln lebe, weiß ich, worum es dabei geht. Trotzdem höre ich dem Mann zu, zumindest einer sollte das schon machen.
Die Rückeroberung der Stadt Köln durch die Künstler
sagt er, garniert mit etlichen gut gemeinten Witzen über die kölsche Wesensart, auf Englisch, „entstand anlässlich des jährlich stattfindenden Straßenkunstfestivals CityLeaks im Jahr 2011 in einer Kooperation von Thomas Baumgärtel und dem Künstlerkollektiv Captain Borderline.
Das auch in den Details sehr liebevoll gefertigte Gemälde befasst sich mit der Situation der freien Kunstschaffenden in der Domstadt, deren Wirtschaftspolitik sehr darauf ausgerichtet ist, ihren Ruf als Medienmetropole zu verteidigen.
Über den Produktionsstätten der freien Szene – selbst Brachen einer untergegangenen Industriekultur ‑ schwingt die Abrissbirne. Den Investoren wurde ein roter Teppich ausgerollt. Das hat Köln – in der Lesart des Gemäldes – zu einer grauen und kalten City werden lassen.
Die Künstler aber wollen sich ihre Heimat zurückerobern und blasen mit einer überdimensionalen Banane – dem baumgärtelschen Symbol der freien Szene – als Rammbock zum Angriff auf die Stadttore. Mitglieder der Crew von Captain Borderline schießen ihre Pfeile ab. Die Stadtindianer lassen grüßen. Der Mentor steht mit Pinsel und Palette ein wenig abseits und macht sich ein Bild davon.“
Das Garagendach verdecke das Porträt des Künstlers Thomas Baumgärtel: „The famous Banana Sprayer of Cologne“!
Und da wird mir klar, dass ich mich jetzt in einer neuen Situation befinde: Die Tatsache, dass ich wieder in einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis meine Runden drehe, eröffnet mir ja ganz neue Perspektiven!
Aufgeregt trete ich diesen stinkenden und krebserregenden Glimmstängel aus, eile zurück in das Gebäude, fahre in die siebte Etage und mache aus dem Fenster der Finanzbuchhaltung heraus dieses Foto.
Und da sehe ich ihn zum ersten Mal, unten links: den Künstler Thomas Baumgärtel, den weltberühmten Bananensprayer, von dem ich bis vor fünf Minuten noch gar nicht wusste, dass er weltberühmt ist.
Tja, und wie das dann immer alles so ist: Jetzt tut es mir schon wieder leid um die nur kurz angerauchte Fluppe, die da unten auf dem Trottoir zertreten wurde.
Bei der nächsten Rauchpause nehme ich mir ein wenig mehr Zeit zur Betrachtung des tatsächlich sehr gelungenen Murals, wobei mir auffällt, dass kaum einer der zahlreichen Passanten auf der Marzellenstraße den Blick hebt, um sich das Gemälde anzuschauen.
Ob die Rückeroberung der Stadt durch die Künstler gelingen wird, bleibt offen. Vielleicht ist sie ihnen ja auch nie geraubt worden.
Da fällt mir ein, dass ich vor einigen Tagen durch den Palast geschlendert bin, den sich die Mediengruppe RTL in den Mauern der ehemaligen Deutzer Messehallen errichtet hat. Da habe mir schon meine Gedanken darüber gemacht, wem diese Stadt eigentlich gehört. Aber ein paar Meter weiter, im Jugendpark, lächelte mich plötzlich meine alte Freundin Joiny an. Und da kam mir Köln schon gar nicht mehr so grau vor.
Man darf die Hoffnung einfach niemals aufgeben.
Text und Fotos: -bevi
English version:
The reconquest of Cologne by the artists
he says, garnished with a number of well-intentioned jokes about the kölsche essence, in English, „was created on the occasion of the annual street art festival CityLeaks in 2011 in a cooperation of Thomas Baumgärtel and the artist collective Captain Borderline.
The painting, which is also very lovingly crafted in the details, deals with the situation of free-lance artists in the cathedral city whose economic policy is very much oriented towards defending their reputation as a media metropolis.
The wrecking ball swings above the production sites of the independent scene – even the fallowing of a defunct industrial culture. The investors were rolled out a red carpet. This has made Cologne – in the reading of the painting – a gray and cold city.
The artists, however, want to recapture their homeland and blow away with an oversized banana – the tree-garden symbol of the independent scene – as a battering ram to attack the city gates. Crew members of Captain Borderline shoot their arrows. The city Indians say hello. The mentor stands with brush and palette a little off and get a picture of it.“
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