Mittwoch, 11. September 2019, 7 Uhr morgens, KVB-Haltestelle Hansaring, nördliche Richtung. Weil ich einfach Lust darauf hatte, fuhr ich an diesem Morgen zu der besagten Haltestelle und setzte mich auf eine der Bänke. Du glaubst ja gar nicht, was um diese Uhrzeit schon alles so los ist!
Jetzt einmal abgesehen von den völlig alkoholisierten Männern, die hemmungslos ihren Rausch auf den Bänken ausschlafen – was im Übrigen niemanden interessiert. Schon auf der Hinfahrt war ich überwältigt von der Menge der jungen Menschen, die wahrscheinlich alle auf dem Weg zur Schule waren. Die Vielzahl der Gespräche, die ich belauschte, kündete von ihren Nöten und Sorgen. Nicht wenige davon erinnerten mich an meine eigene Jugend. Allerdings fiel auch oft das Wort „Mobbing“, und das hat mich etwas verstört.
Am Hansaring schließlich war das Wort „Emsigkeit“ eine Untertreibung. Ich durfte beobachten, wie zwei Männer, die ein perfekt eingespieltes Team darstellten, alle vorhandenen Großreklamen austauschten. Du weißt schon: diese Riesenplakate, die sich von oben nach unten drehen und wieder zurück. Es war ein großartiges Vergnügen, diesen beiden Kerlen dabei zuzusehen, wie sie diese Aufgabe, die ein einzelner Mensch gar nicht schaffen könnte, sozusagen wie ein Gesamtorganismus mit vier Armen ausführten..
Eine Bahn nach der anderen fuhr vor und fort.
Unglaublich viele Menschen. Alle hatten ihre Ziele und ihre Ambitionen, alle lebten ihre Leben, und es war ihnen egal, ob ich da saß oder nicht. Ein großartiges Gewimmel von Existenzen, das mich komplett fasziniert hat.
Und dann setzte sie sich plötzlich neben mich: meine Traumfrau. Ein Augenaufschlag, ein Lächeln. Sofort spürte ich, dass wir füreinander geschaffen waren, nur dass sich das Schicksal um etwa 40 Jahre verkalkuliert hatte. Sie war jung und wunderschön, ich war alt und faltig. Sie wird einen anderen Mann oder eine andere Frau glücklich machen, nicht mich.
Dennoch schloss ich die Augen und genoss den Moment. Was für ein Wunder, solche Schwingungen genießen zu dürfen! Und wenn es auch vielleicht alles nur Einbildung war, ist doch egal. Es lohnt sich einfach immer wieder, die Wohnung zu verlassen und in die Welt hinauszugehen.
Text & Foto: -bevi
12. September 2019 at 19:33
Die Haltestelle Hansaring war über viele Jahre meine Startrampe in die Stadt, nächstgelegen zu meiner Wohnung im Agneviertel. Ich kann mich noch gut an eine irritierende Situation erinnern: Ich beobachtete morgens auf dem Weg zur Uni einen Mann mit grauen Haaren, grauer Hose und hellem Hemd, der auf einer der Bänke in sich versunken zu sein schien, gekrümmte Haltung, den Kopf hängend fast auf den Knien, bewegungs- und teilnahmslos. Am zweiten Tag machte ich mir schon Sorgen, hatte aber keine Zeit, genauer hinzusehen, da meine Bahn kam und ich – wie eigentlich immer – in großer Eile war. Als der Mann am dritten Morgen immer noch – oder schon wieder? – in gleicher Haltung mit den gleichen Klamotten da saß, beschloss ich, mal bei der Polizei anzurufen, damit sie schauen, ob mit ihm alles in Ordnung war. Ich weiß bis heute nicht, was daraus geworden ist. Zurück geblieben ist ein Gefühl von Großstadt-Grusel, berechtigt oder unberechtigt.
In jenen (Sommer-)Tagen war auf der großen Wiese hinter dem Uni-Hauptgebäude die Leiche eines Selbstmörders gefunden worden. Er hatte sich an einem der Bäume erhängt, nur war der Ast abgebrochen und er lag – wie viele andere Leute an schönen Sommertagen – auf der Wiese. Erst Tage später bermerkte man, dass er aus sehr eigenen Gründen dort lag.
14. September 2019 at 10:21
Sehe ich auch so. Danke, Sabine.
13. September 2019 at 17:59
Sehr schöner Text mit erstaunlich positivem Ende! Danke auch für den ausführlichen Kommentar, der für sich genommen schon eine kleine Geschichte ist.