„Am Ende wird alles gut werden, und wenn es noch nicht gut ist, dann ist es noch nicht am Ende.“
(Oscar Wilde)
Da war es also: mein erstes Smartphone, dessen Besitz Unkas mir erst so dringlich empfohlen und vor dem er mich bei unserer letzten Begegnung so sehr gewarnt hatte. Nachdem ich es aus dem Kühlschrank hervorgeholt hatte, setzte ich mich an den Küchentisch, um damit zu üben.
Für Smartphones gibt es keine Bedienungsanleitungen. Das hatte mir schon der freundliche junge Mann im Shop meiner Telefongesellschaft erklärt. Das Wissen über den Umgang mit den Geräten werde vorausgesetzt. Ob er mir denn kurz ein paar grundlegende Dinge erklären würde? Nein, er sei nur für den Verkauf von Verträgen zuständig.
Und da die beste Tochter von allen, die mir diesen kleinen Terroristen zu Weihnachten geschenkt hatte, im Ausland lebt, konnte ich mich auch nicht mal eben für ein, zwei Stündchen mit ihr zusammensetzen und mir was zeigen lassen. Der beste Sohn von allen, der sich am Kaufpreis beteiligt hatte, war derzeit im Urlaub und stand ebenfalls nicht zur Verfügung.
Alles muss man selber machen!
Das Wischen wollte gelernt sein. Gar nicht so einfach. Ständig blieb ich irgendwie hängen und landete auf irgendwelchen Seiten oder löste unbeabsichtigte Funktionen aus.
Zudem hatte das Gerät recht bald damit begonnen, Ansprüche zu stellen. Apps sollten aktualisiert werden, Standortbestimmungen sollten erlaubt werden, WLAN-Verbindungen in meiner unmittelbaren Umgebung teilten mir ihr Vorhandensein mit (und funktionierten dann meist nicht). Alle Nase lang schwächelte der Akku.
Ständig wurde die WLAN-Verbindung zu meinem Router unterbrochen. Ich brauchte nur die Tür zu meinem Arbeitszimmer zu schließen, schon hieß es: „Authentifizierungsproblem“.
Andauernd ertönten Geräusche, deren unterschiedliche Klänge ich erst nach und nach bestimmten Nachrichtenarten zuzuordnen lernte:
„Huhu ping!“ = WhatsApp- oder Facebooknachricht. „Huhu“ mit „Pingpong“ = mehrere Nachrichten, die sich zuvor irgendwo im Weltall versammelt hatten. „Pick pock“ = „Der Akku ist schwach, bitte Ladegerät anschließen“. Usw.
Vielleicht hätte ich mich an diesen Terror gewöhnen können, wenn ansonsten alles so funktioniert hätte, wie ich es von einem Smartphone erwartet hatte, bevor mir eins überantwortet worden war. So wie ich es sehe, ist ein Smartphone ein mobiler Computer, mit dem man nebenbei auch noch telefonieren kann. Aber in der Hauptsache geht es doch um Internet, WhatsApp, Fotos machen und solche Sachen – oder etwa nicht?
Leider erwies es sich, dass die Kamera des Gerätes nicht so gut war, wie ich es mir gewünscht hätte. Immerhin hatte ich nach den zwei ersten Tagen schätzungsweise zwanzig Fotos vom Inneren meiner Jackentasche gemacht. Interessant. Wusste vorher gar nicht, wie es dort aussieht.
Und wie oft kam es vor, dass mir ein Kackhaufen gezeigt wurde, wenn ich mal ins Internet wollte. „Verbindung nicht möglich“. Was machten eigentlich all die anderen in der Bahn, die auf ihren Smartys daddelten? Nachdem ich sie beobachtet hatte, wurde mir klar, dass die allermeisten nur Musik hörten, Spiele spielten oder gespeicherte Inhalte scrollten. Manche telefonierten sogar oder gaben es zumindest vor.
Daumentippen kann doch jeder!
Dann versuchte ich, mit den Daumen zu schreiben, wie ich es schon millionenfach in einer irrsinnigen Geschwindigkeit bei den jungen Leuten beobachtet hatte.
Es gelang mir nicht. Noch immer – inzwischen sind 18 Monate vergangen – tippe ich meine WhatsApp-Texte im Adler-Suchsystem: mit dem Zeigefinger über der Tastatur kreisen und dann hinabstoßen. Und noch immer lande ich versehentlich auf einem benachbarten Buchstaben, was zu lustigen Vorschlägen des Schreibprogramms führt …
Überhaupt: WhatsApp. Was bringt die Leute dazu, mir eine Textnachricht nach der anderen zu senden? Warum rufen sie mich nicht einfach kurz an, und dann besprechen wir alles, sozusagen en bloque?
Leider ist es so, dass ich nicht damit aufhören kann, GIMPs zu hassen, und auch Emojis kann ich nur gerade eben so ertragen. Und die lustigen Videos, die mir ständig zugeschickt werden, müllen meinen Speicher voll.
Nein, das war nichts für mich. Und so ließ ich mein Hendl immer öfter zu Hause auf dem Küchentisch liegen, wenn ich unterwegs war. Das zog die nächsten Schwierigkeiten nach sich. Immer öfter beschwerten sich Freunde, dass ich nicht zu erreichen gewesen wäre. Leute, die vorher nie auf die Idee gekommen wären, mich anders als über Festnetz anzurufen, erwarteten nun von mir, immer und überall verfügbar zu sein.
Eines Tages erreichte mich per konventioneller E-Mail eine Nachricht von Unkas: ein Kommentar zum Hambacher Forst. Leider ohne Absenderkennung. Ich wusste gar nicht, dass das geht! Was würde Unkas wohl zu meiner Smartphone-Situation sagen? Würde mich gerne mal mit ihm darüber unterhalten. Auch über andere Dinge, schließlich hatten wir uns jetzt schon länger nicht mehr gesehen.
Erst jetzt bemerkte ich, dass ich zu Unkas überhaupt keine Kontaktdaten hatte: weder Anschrift noch Telefonnummer, noch E-Mail-Account, noch sonst irgendetwas. Wie also sollte ich ihn zu einem Gespräch über Smartphones und deren Unwesen einladen?
Eine Fährte war, dass sein Augenstern Carlotta eine Boutique im Belgischen Viertel betrieb. Zwar wusste ich nicht, wo genau ich sie finden würde. Aber dass ich sie finden würde, war gewiss. Schließlich ist das Belgische Viertel überschaubar. Bei einem Spaziergang würde ich das Geschäft mit selbst gestrickten Wollmützen in den Farben Afrikas schnell ausfindig machen.
Also machte ich mich an einem Samstagmorgen auf und streunte durch die Straßen rund um den Brüsseler Platz, der schon seit den Zeiten der Sannyasins für seine Hippness über die Grenzen von Köln hinaus bekannt ist. Und schon bald hatte ich Carlottas Laden im Schatten von Sankt Michael gefunden.
Zunächst studierte ich die Exponate im Schaufenster und spinxte dabei verstohlen in das Ladeninnere. Da stand sie hinter der Verkaufstheke und strickte an einer neuen Mütze. Sie sah genauso aus, wie Unkas sie mir beschrieben hatte. Also enterte ich den Laden.
„Hallo Carlotta, schön, dich mal kennenzulernen.“
„Wie bitte?!“
„Ach herrje, ich habe mich ja noch gar nicht vorgestellt. Ich bin ein Freund von Unkas.“
„Von wem?!“
Konnte es tatsächlich sein, dass sie diesen Namen nicht kannte? Um das herauszufinden, nannte ich Unkas‘ Taufnamen.
„Ach der!“, rief sie. „Der Arsch! Sogar seine Smartphone-Nummer funktioniert nicht mehr. Keine Ahnung, was mit dem los ist. Völlig durchgeknallt. Wahrscheinlich hat er sich wieder unter Mamas Schoß in seinem schönen Sauerland verkrochen. Wenn du ihn findest, kannst du ihm einen Arschtritt von mir verpassen!“
Wie es sich herausstellte, war sie eines Morgens wach geworden, und ihr Lebensgefährte hatte sie verlassen. Kleiderschrank leergeräumt. Seine Lieblings-CDs fehlten (und ich dachte, er streame nur noch), Abschiedsbrief auf dem Küchentisch: „Diese Art zu leben ist nichts für mich. Mach’s gut.“
Sie habe auf der ganzen Welt herumtelefoniert, aber niemand wisse, wo er sei. Auch bei dem Weiterbildungsinstitut in der Südstadt, bei dem er als Dozent tätig gewesen sei, vermisste man ihn seit Tagen.
Typisch Unkas, dachte ich und fragte, ob ich irgendwas für sie tun könne.
„Gib mir Bescheid, wenn du ihn gefunden hast“, sagte sie. Das versprach ich ihr.
Darauf telefonierte ich all die mit Unkas gemeinsamen Sauerländer Kontakte in Köln ab, Hermann zum Beispiel, von dem ich auch schon erzählt habe.
„Unkas?“, fragte Hermann. „Ist das nicht dieser Irre, bei dem ich mein Smartphone immer in den Kühlschrank legen musste, wenn ich ihn einmal besucht habe?“
„Ja“, sagte ich, „damit die Geheimdienste nicht mithören konnten.“
„Von dem habe ich schon ewig nichts mehr gehört“, sagte Hermann. „Komm doch mal wieder zum Essen vorbei, Mann.“
Auch das versprach ich.
Immer wenn du glaubst, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her.
In den Wochen danach fiel mir in den Straßen von Köln ein mir bislang unbekannter Streetart-Character auf:
Da wusste ich, dass Unkas noch in Köln war und ich ihn auch finden würde.
Inzwischen war der beste Sohn von allen aus dem Urlaub zurückgekehrt und hatte sich zu Besuch angekündigt. Als ich ihm mein Smartphone-Leid klagte, fragte er:
„Hast du schon die mobilen Daten aktiviert?“
„Die WAS?“
Er schnappte sich mein Hendl, daddelte ein wenig darauf herum und drückte es mir in die Hand. „So, nun müsste eigentlich alles funktionieren.“
„Okay Google“, sagte ich. Und alles funktionierte.
Text & Foto: -bevi
4. Juli 2019 at 10:04
Hallo Bernd,
dein Beitrag ist auch mein Problem. Ich musste herzhaft lachen, denn auch ich warte auf den besten Sohn, der mich mit Geduld aufklärt, damit mir dieses Gerät vertraut wird und ich meine Nachrichten auf den Weg bringen kann.
Wehmut, Sehnsucht … ich hatte einmal ein kleines Nokia und nie Probleme.
Herzlichen Gruß von der Hanne
mit dem ruhenden Smartphone in der Hand
4. Juli 2019 at 10:25
Ich hatte auch einmal ein Nokia, Edition „Sex and the City“. Klein, aber fein. Das war irgendwie besser. Woll?
4. Juli 2019 at 12:25
Bernd und sein Hendl… Ich hab mich köstlich amüsiert! Nicht zuletzt weil viel Wahres dran ist.
Danke für diese Story!
5. Juli 2019 at 10:42
Sehr humorvoll und authentisch geschrieben! Einiges davon habe ich auch erlebt. Immer wieder ein Genuss, deine Texte zu lesen. Weiter so!